Geschichte

Von den kleinsten Anfängen bis zur ländlichen Narrenhochburg

Die Fastnacht hat einen religiösen Ursprung. Je katholischer die Bevölkerung, desto närrischer die Fastnacht. Die Kirche betrachtete den Faschingseit eh und jeh mit Argusaugen. Auch die weltliche Obrigkeit hat das Fastnachtstreiben zeitweise aus sittlichen Gründen verboten. Doch ganz ausrotten konnte die Fastnacht niemand. Ein richtiger Neulermer hat von Geburt an Faschingsblut in den Adern. Die fünfte Jahreszeit ist ihm hoch und heilig. So ist es heute nicht verwunderlich, dass der Faschingsumzug Formen angenommen hat, welchen von den Auswärtigen zu tausenden bestaunt und bewundert werden.

1906 ist das älteste Datum, an welchem laut mündlicher Überlieferung von einem organisierten Narrentreiben in Neuler die Rede ist. Da in der Oberamtsbeschreibung Ellwangen von 1886 jedoch zu lesen ist, dass in Neuler immer noch Maskenumzüge stattfinden, so kann man vermuten ,dass es in anderen Orten keine Umzüge mehr gab. In einem Bittschreiben an die Gemeindeobrigkeit im Jahr 1928 ist von einer mehr als 100-jährigen Fastnachtstradition in Neuler die Rede. Trotzdem versagte der Gemeinderat die Genehmigung des kleinen Umzuges in jenem Jahr, da ein Bedürfnis hierzu in unserer Geldarmen Zeit nicht vorliege. Auch im Jahre 1934 war jegliches Fastnachtstreiben verboten. Die Leute saßen jedoch in den Häusern zusammen und vergnügten sich. Mehrere Jugendliche zogen einen mit einem Baumstamm beladenen Pferdewagen durchs Dorf, auf welchem sie Turnübungen machten. Für diese Ordnungswidrigkeit wurden sie mit 80 Mark bestraft. Ab ca 1935 wurde wieder ein Umzug genehmigt. Eine heitere Begebenheit war 1948 das Ochsenmelken im Adler. Merkers Ochse, uralt und ein Riese an Gestalt, wurde durch einen Nebeneingang in die Gastwirtschaft gezerrt. Die Hörner waren so lang, dass sie nicht einmal durch die breite Tür passten. Dem Ochsen mußte erst mit sanfter Gewalt der Kopf verdreht werden, so dass er an die Theke geführt werden konnte. Langhansen Paule hat den alten Herrn dann symbolisch gemolken, wobei die ganze Zeremonie einen Gemeindepolitischen Hintergrund hatte. Der Ochse soff eine Menge Gerstensaft und nahm es mit der Stubenreinheit nicht so genau.

1954 hatte sich der Obernarr Josef Eßwein (Langen-Seff) einen besonderen Gag ausgedacht. Während des Umzuges verkündete er lauthals, dass er im Anschluss auf dem Lindenplatz beim Kirchen-Beck in einer großen Demonstration die Welt auf- und unter gehen lassen werde. Viele harrten bei klirrender Kälte der Dinge die da kommen sollten. Josef Eßwein schwang sich auf einen Wagen, öffnete eine lange hölzerne Schere und rief: so geht die Welt auf – Beim schlißen rief er :Und so geht sie unter! Der Langen Seff flüchtete anschließend über die Maierhöfe, denn einige verarschte Bürger wollten ihm für diese Lumperei ans Leder.

Mitte der fünfziger Jahre hat man die schwäbische Eisenbahn imitiert. Veithles Einzylinder- Kaelblemotor- Schlepper wurde in eine Lokomotive verwandelt, welchem drei zu Eisenbahnwagen umfunktionierte Wagen angehängt wurden. Der Landjäger Max Rettenmaier vom Ortspolizeiposten Neuler war ausser sich, denn die Fahrt über Schwenningen und Schleifhäusle war mit solch einem Gespann natürlich verkehrswidrig und nicht ganz ungefährlich.

Die Neulermer Umzüge fanden bis 1963 am Fastnachtsdienstag statt. Da die Umzüge von Jahr zu Jahr größere Ausmaße annahmen und man einer Überschneidung mit dem Ellwanger Umzug ausweichen wollte, wurde der Umzug auf Fastnachtssonntag verlegt.

So allmälich wurde aus der Fastnacht der Fasching. Der Neulermer Umzug ähnelt von seinem Charakter her den Rheinischen Umzügen. Er hat mit der allamanischen Fastnacht nichts gemeinsames. Die Umzugsthemen waren bis in die siebziger Jahre meist Dorfpolitik oder etwas aktuelles aus aller Welt. Ein Pferdewagen, vier Stangen, ein paar Latten, Pappkarton, Dachpappe sowie eine saloppe Beschriftung und fertig war der Wagen. Jetzt galt es nur noch für Lustbarkeiten zu sorgen. Glühmost und Bauerndiesel brachte die Akteure in Hochform. Geld war fast keines Vorhanden. 1975 kam mit dem ersten Narrenball erstmals etwas Geld in die Kasse. In den Folgejahren nahm der Umzug immer größere Formen an. Überdimensionale Motivwagen mit viel Fantasie und technischen Finessen, als auch orginelle Fußgruppen begeisterten die teils weit angereisten Zuschauer mit ihren immer neuen Ideen und ihren schauspielerischen Fähigkeiten.

Bis zu 20.000 Zuschauer säumen zeitweise die Straße vom Hirsch über die Haupt-, Schwenninger- und Hardtstraße bis zur Kirche, um die publikumswirksamste Veranstaltung im Jahresverlauf von Neuler zu bewundern. Mit teils 18 Meter langen Wagen, wie dem Mississippi- Dampfer, 12 Meter hohen Figuren, wie dem Gulliver aus dem Märchen Gullivers Reisen und über tausend Mitwirkenden in bis zu 50 Wagen und Fußgruppen ist der Umzug an Größe durch die örtlichen Gegebenheiten absolut nicht mehr zu überbieten. Der Umzug gilt seit vielen Jahren als Geheimtip unter dem Narrenvolk der Ostalb. 1995 ließ die Gruppe Bronnen/Ebnat ihr 3,97 Meter hohes und voll funktionsfähiges Umzugs Spinnrad sogar ins Guiness-Buch der Rekorde eintragen.

Der Aalener Spion von der Schwäpo verkündete 1995 in seiner Umzugsbewertung trefflich und allumfassend: De aigentlich Schau hen d´Nuilamer gschtohla. Was dia für ihren Omzug wieder aufbota hen, schtellt Älles andere weit en Schatta. Net bloß a paar Autola mit ama bissale drom rom, noi, meterhohe Prachtwäga mit Aufbauta wia en Mainz könntat gwieß sogar en Rio mithalta.`S ganze Dorf isch do eigschpannt. Ond drom isch drnoch auch no net Ällas rom. Pausalos bis end Naacht nai goht do dia Narretei weiter. Drom kriagat dia beschtemmt no an Fastnachts- Oskar.

Laut Recherchen entstanden die Neulermer Narren aus einer Gruppe junger unverheirateter Männer, welche sich 1906 zusammenschlossen und mit Pauke, Trommeln, Fanfaren, Triangeln, Schellenbaum, Handharmonika und sonstigen Gerätschaften von Bauernhaus zu Bauernhaus zogen. Die erste Pauke stammte von der ehemaligen Kirchenmusik.

1997 stellten die Narren auf dem Roten Platz (Dorfplatz) von Neuler erstmals einen acht Meter hohen und prachtvollen Narrenbaum auf. Am Gumpendonnerstagabend erschallt nach dem Gebetläuten unter diesem Wahrzeichen das Kommando: Fertigmachen, drei vier! Mit dschinerassabumm pauken die jungen die mittleren und die alten Narren durch die Strassen und Gassen. Am Abend erfolgt dann der obligatorische Narreneinmarsch mit Einlagen bei den jeweiligen Faschingsbällen. Jede Gruppe besteht aus 10 bis 12 Narren, wobei der Nachwuchs per Abstimmung rekrutiert wird. Ein gemeinsames Nachtlager ist unumgänglich, denn um 6.00 Uhr wird nach dem Geläuten, ungeachtet der Witterung, zur Tagwache durch das Dorf gepaukt. Nach dem sonntäglichen Umzug geht das Narrentreiben bis zum Narrenbegräbnis am Dienstag weiter.

Am Faschingsdienstag findet dann der Rathaussturm statt, wobei der Schuldes mit einer niederschmetternden Anklageschrift seines Amtes enthoben wird. Ab 16.00 Uhr kommt in den Gasthäusern die traditionelle Schnitzelbank zum Vortrag. nach der Melodie Droben auf der rauhen Alb werden lokalpolitische Ereignisse, gesellschaftliche Fehltritte und menschliche Schwächen zum Objekt der Reimkunst gemacht. Sie soll betroffene wie verschonte zum Lachen und Schmunzeln bringen.

Aus haftungsrechtlichen Gründen ließen sich die Neulermer Narren 1993 beim Amtsgericht ins Vereinsregister eintragen. Heinz Ilg wurde Präsident, Klaus Schips technischer Direktor, Andrea Ilg Schatzmeister und Helmut Schweitzer Chronist. Das Narrenkommitee besteht aus mehreren Mitgliedern. Diese werden jährlich beim Umzugsauftakt, dem sogenannten Narrenessen, kurz vor dem Jahreswechsel gewählt. Das Narrenessen, an welchem alljährlich ca. 400 Mitwirkende anwesend sind, ist ein willkommener Anlass, um für den kommenden Umzug Pläne zu schmieden, zu koordinieren und neue Umzugsthemen und Anmeldungen entgegenzunehmen.

Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Alle Narren besuchen dann den Abendgottesdienst, was vom Ortsgeistlichen Pfarrer Schneider stets lobend erwähnt wird.

Die Neulermer Narren, Bürgermeister Fischer und die ganze Gemeinde freuen sich schon auf Ihren Besuch beim Neulermer Fasching.

Chronist

Helmut Schweitzer